Der Tannenwald

In einem abgelegenen Tal der österreichischen Alpen gedeiht eine eigenartige Tannenart. Das Tal ist eng und von steilen, hohen Felswänden begrenzt, so dass Sonnenstrahlen auch im Sommer nur für wenige Stunden ins Tal gelangen. Tannen, welche die anderen Tannen überragen, geniessen unter diesen Bedingungen den Vorteil, dieses spärliche Sonnenlicht für sich zu beanspruchen. Diese Tannenart hat über die Zeit die Fähigkeit zu enorm raschem Wachstum entwickelt, denn die Tannen, denen es gelingt, in kurzer Zeit die anderen Tannen zu überwachsen, schaffen sich einen entscheidenden Vorteil. Oder anders formuliert: wer nicht schnell genug wächst, hat keine Überlebenschancen. Wachstumsraten von einem Meter pro Monat sind absolut normal. Die hohe Wachstumsgeschwindigkeit kommt allerdings mit dem Preis geringer Stabilität. Meist ist das kein Problem, denn die hohen Felswände schützen das Tal auch vor extremer Witterung wie starken Winden und grossen Schneemengen. In regelmässigen Abständen von rund sieben Jahren tritt aber eine Wetterkonstellation auf, die viel Schnee bringt – mit verheerender Wirkung für die Tannen im Tal. Diese knicken dann wie Strohhalme unter den ungewohnten Schneelasten. Für einige Jahre gleicht das Tal danach einem Schlachtfeld, auf dem die Toten kreuz und quer liegen. Irgendeinmal gelingt es dann jungen Sprösslingen zu keimen. Und sobald diese einigermassen Wurzeln geschlagen haben, beginnt das spektakuläre Wachstumswunder von vorne.

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