Ich, Chefköchin

Ich habe geträumt ich wäre Chefköchin in einem Restaurant mit drei Michelin-Sternen. Das heisst, nicht ganz. Das Hotel, dem das Restaurant angeschlossen war, hatte sich bloss zum Ziel gesetzt, ein drei Sterne Michelin-Restaurant zu betreiben und meine Aufgabe war es, dies zu erreichen. „Lassen Sie sich in unserem zukünftigen Michelin-Restaurant verwöhnen“, lautete einer unserer Werbeslogans.

Gekauft worden war das Hotel von einem vor kurzem zurückgetretenen Skistar. Vielleicht war es auch ein Tennisprofi. Wobei, ich denke, die Trophäen, die in seinem Büro standen, glichen eher den Glaskugeln aus dem Weltcup als den Schalen von Wimbledon.

Er hatte das Hotel für viel Geld typisch modern umgebaut. Aus der Personalzusammensetzung konnte ich mir aber keinen Reim machen. Die Zimmermädchen waren alles fleissige Bienen, die Serviertöchter waren Rehe, die Küchenhilfen waren Murmeltiere, der Concierge ein Bär. Mich hatte er von hinter der Theke eines Dorffestes weg angestellt. Es kam mir suspekt vor, dass er gerade mich für diesen Job haben wollte. Ich konnte keine einschlägigen Berufsqualifikationen vorweisen und machte ihn darauf aufmerksam, hatte aber gleichzeitig Angst, dass ich den Job, den ich trotzdem irgendwie wollte, nicht bekommen würde. Er überzeugte mich, als er eine Kopie meines Grundschulzeugnisses vor meiner Nase schwenkte, mit dem Finger auf meine Note in Hauswirtschaft zeigte und meinte, das wird doch wohl reichen.

Der Job war ein Riesenstress, der Druck war enorm. Ich musste eine Basisspeisekarte entwerfen mit Gerichten, die einerseits traditionell und für unsere Gegend typisch einfach, aber auf der anderen Seite raffiniert verfeinert sein mussten. Auf wundersame Weise gelang mir das, obwohl ich jetzt nach dem Traum keines der Rezepte mehr aufschreiben könnte. Weiter mussten jeden Monat drei neue Spezialgerichte entworfen werden, die sich an den saisonalen Besonderheiten orientierten. Gelegentlich durften es auch drei Gerichte aus anderen Regionen des Landes oder der Welt sein. Auch das gelang mir überraschend gut. Zwar bangte ich regelmässig um die richtige Eingebung, aber immer fielen mir die Ideen in letzter Minute zu.

Es lief also, angesichts meiner mangelnden Berufserfahrung recht gut, dachte ich. Auf jeden Fall fand unser Restaurant zunehmend Erwähnung in Zeitschriften. Bloss, die Michelin-Sterne hatten wir noch nicht. Unser Chef war der Auffassung, dass unsere Gerichte nicht raffiniert genug wären. Wir müssten eine Überraschungskomponente einbringen, das werde die Berichterstattung intensivieren. Diese Überraschungskomponente werde er persönlich einbringen, da ich zu stark im Korsett meiner originalen Rezepte verankert sei. So entschied er an einem Abend, meiner Rote Beete Suppe eine Kugel Vanilleeis beizufügen, an einem anderen Abend dekorierte er das Zimtparfait mit Sauerkraut, bestreute die hausgemachten Vermicelles mit Parmesankäse oder drückte auf den lauwarmen Schokoladenkuchen eine Portion Ketchup.

Diese Einmischungen in die Menügestaltung passten mir gar nicht. Natürlich war ich ein Niemand, aber ich war der Ansicht, dass ich meinen Job bis jetzt nicht so schlecht gemacht hatte und dass er mir daher mehr Respekt entgegen bringen und mir die nötige Zeit geben müsste, uns an die Spitze zu kochen. Er respektiere, was ich geleistet hätte, aber er könne mir sagen, dass solides Handwerk nicht reiche, um den gastronomischen Olymp zu erklimmen. Dazu brauche es das Aussergewöhnliche. Oft brachten die Rehe wenig schmeichelhafte Rückmeldungen in die Küche zurück, was mich in meiner Opposition gegenüber den ungebührlichen Einmischungen bestätigte.

Die Berichterstattung war nicht gar so negativ, wie ich befürchtet – oder eher gehofft – hatte. Anfänglich hiess es, die Kreationen würden etwas gewagt. Bald hiess es dann aber schon, die junge Küchenchefin hätte sich emanzipiert und ihren eigenen Stil gefunden. Mehr und mehr kamen Gäste zu uns, die sich nur von unseren gewagten Kreationen überraschen lassen wollten. Vom Kuriosum zum Geheimtip erreichten wir schon fast Kultstatus.

Nach Michelin-Sternen war’s meinem Chef mittlerweile nicht mehr. Zu stark sei das Michelin-Bewertungskonzept im Traditionellen haften geblieben und nicht in der Lage neue Konzepte zu repräsentieren. Auch mich stellte er auf die Strasse. Ich tauge nicht als Geschäftspartnerin, hätte ich doch durch mein beschränktes Vorstellungsvermögen, den Erfolg seines Unterfanges dauernd gefährdet. Womit der Traum von der Chefköchin ausgeträumt war.

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