Die Stubenfliege

Irgendwie hatten wir alle ein bisschen befürchtet, dass wir eines Tages zurückschauen und uns fragen werden, welcher Teufel uns da geritten hat. Aber es war eines dieser Themen, die nicht empirisch angegangen werden können, irgendwie sympathisch daherkommen und von einer kleinen Gruppe sehr enthusiastisch vertreten wird. Niemand konnte sich Argumenten wie dem Erhalt der Biodiversität oder einer Reduktion der Giftstoffausbringung in unsere Umwelt mit gutem Gewissen entgegenstellen. 

Die Winter waren damals auch noch kalt genug, um die Wespenpopulationen regelmässig so zu dezimieren, dass sie im Sommer zwar ärgerlich, nicht aber zur Plage wurden. Das Verbot, Wespennester zu zerstören, wurde dann, wenn auch mit etwas Unbehagen, in der Gesetzesanpassung akzeptiert. Sollte ein Wespennest trotzdem an einer kritischen Stelle (z.B. im Kinderzimmer) gebaut worden sein, kam fortan nur die Option einer Umsiedelung in Frage und es war sogar ausdrücklich festgeschrieben, falls Wespen im Kamin einer Feuerstelle nisten sollten, das Nest zuerst umgesiedelt werden muss, bevor darin wieder ein Feuer entfacht werden darf. Die Kosten eines solchen Umzugs beliefen sich je nach Aufwand auf einige tausend Euro, wobei die Hälfte davon durch die Biodiversitätsförderung gedeckt wurde. 

Mit einer Serie von heissen Sommern und lauen Wintern war nicht zu rechnen und so kam es, wie es nicht hätte kommen sollen. Im ersten Wespensommer konnten die Wespen mit ihrem angeborenen Charme den beschränkten Goodwill erhalten. Diesen verspielten sie dafür umso effektiver im zweiten Wespensommer. Da konnte man weder im Freien ein Bier trinken, noch genüsslich die Grillade verspeisen. Man konnte kaum das Bierglas absetzen, schon schwamm die erste Wespe im Glas und eine zweite krabbelte einem auf der Oberlippe rum, angezogen durch den Biergeruch. Kinder durften nur mit Moskitonetz über dem Kopf zur Schule. Erwachsene behalfen sich aus Mangel an Moskitonetzen mit Gesichtsmasken, Kopftüchern und Hüten oder sie nähten sich aus Vorhangstoffen improvisierte Moskitonetze. Viele Allergiker starben an Wespenstichen und die Wut war gross, denn die Viecher nisteten nicht nur an gut zugänglichen Orten, sondern frassen sich in Holzfassaden und bildeten dahinter riesige Kolonien oder sie legten mit dem Nestbau Rollladen lahm. 

Nicht nur ärgerten sich alle über die hohen Kosten fürs Freilegen und Umsiedeln der Nester, es gab auch viel zu wenig zertifizierte Insektenexperten, die den Ansturm auf Umsiedlungen hätten bewältigen können. So dauerte es Wochen, bis eine lokale Wespenplage behoben war. Man mag denken, dass es in einer solchen Notsituation möglich sein sollte, ein Tierschutzgesetz, welches das Vorgehen gegen Wespennester beschränkt, rasch anpassen zu können. Aber wer weiss, wie langsam Gesetzesmühlen mahlen, der weiss auch, dass man besser auf den Winter wartet, als auf eine Gesetzesänderung. 

Blieb also nur die Option zu illegalen Mitteln wie Giften zu greifen. Nur kaufen liessen sich diese nicht, war in der Zwischenzeit deren Herstellung verboten. Also musste improvisiert werden, mit den entsprechenden Risiken, die experimentieren mit sich bringt. So wurde von Fällen berichtet, wo mit Zerstäubern hinter Fassaden Benzin versprüht wurde, in der Hoffnung, die Wespen so zu vertreiben, sich dieses Gemisch dann aber explosionsartig entzündete und ganze Häuser zerstörte. In einigen Quartieren kam es sogar zu bürgerkriegsähnlichen Szenen, weil Nachbarn ohne Einwilligung der Eigentümer fremde Grundstücke betraten oder gar in Häuser eindrangen, mit der Absicht Wespennester ausfindig zu machen und zu vernichten. 

Ruhe kehrte mit dem Anbruch des Herbstes ein. Mit dem Abklingen der Wespenplage, kühlten sich auch die Gemüter ab. Aufgeheizt hat sich dafür die politische Debatte. Eigentlich hatte man sich unter dem Eindruck der Wespenplage informell verständigt, dass der Wespenschutz im Tierschutzgesetzt gelockert werden soll. Jetzt aber, wo die Wespenplage vorbei ist, lassen Tierschützer verlauten, dass sie diese Zusage nochmals überdenken wollen. Es sei ja eigentlich nur eine kurze Zeit von mehreren Wochen gewesen und es sei keineswegs sicher, dass solche Wespensommer nun zur Norm werden. Für diese Haltungsänderung ernten diese naturnahen Kreise gerade einen Shitstorm sondergleichen und verschiedene Tierschutzvertreter lassen durchblicken, dass sie bereit sein könnten, den Wespenschutz zu lockern, wenn dafür neu Schutzbestimmungen für die Stubenfliege eingeführt werden. 

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