• Die Bekehrung

    Ja, ich gestehe, ich gestehe alles, nehmt nur dieses glühende Eisen weg!

    Ja, ich habe Fleisch gegessen!
    Ja, ich bin mit dem Flugzeug gereist!
    Ja, ich habe von einem Porsche Cayenne geträumt!
    Ja, ich habt Schwulenwitze erzählt!
    Ja, ich habe Winnetou gelesen!
    Ja, ich habe mein Gesicht schwarz angemalt und Balthasar gespielt!
    Ja, ich habe Mohrenköpfe gegessen!
    Ja, ich habe Blues gespielt!
    Ja, ich habe im Winter Erdbeeren gekauft!
    Ja, ich habe unsere Katze im Freien jagen lassen!
    Ja, ich habe schon an der Börse Geld verdient!
    Ja, ich habe Kryptowährungen geschürft!
    Ja, ich habe warm geduscht!
    Ja, ich habe pornographische Magazine konsumiert! 

    Reicht Euch das? Ich kann noch viel mehr gestehen! Bleibt mir nur mit dem glühenden Eisen vom Leib!

  • Gravitationsgesetze

    Das Gravitationsgesetz der Politik besagt, dass jeder Politiker zu Fall gebracht werden wird. Lange hatten wir gedacht, dass Christoph sich diesem Gesetz entziehen, respektive es widerlegen würde. 

    Schon im Gymnasium war er darauf bedacht, keine Fehler zu machen und nichts Falsches zu sagen. Er achtete peinlichst drauf Regeln einzuhalten. Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn sich alle an die Regeln halten, war sein Credo. Er konnte sich leidenschaftlich in Diskussionen einbringen, wählte aber seine Worte immer stets vorsichtig und achtete streng darauf, sachlich zu argumentieren. Wenn er glaubte, dass ihm zu einem Thema das Hintergrundwissen fehlt, gab er das offen zu und hielt sich aus der Diskussion raus. 

    Seine Politkarriere verlief zwar nicht kometenhaft, aber sehr stetig. Er war kein charismatischer Politiker, aber seine Sachkompetenz war allgemein anerkannt. So war es ihm möglich, wann immer durch Abgänge Posten frei wurden, solche Lücken zu füllen. Er wurde so durch einen allgemeinen Aufwärtssog langsam nach oben getragen und da er es vermied Fehler zu machen, gab es nie Gründe, ihn nicht zu berücksichtigen. 

    Das funktionierte alles ganz wunderbar in den unteren Rängen, wo es viel zu tun, aber wenig zu ernten gibt. Aber als es um die Aufstellung ins nationale Parlament ging, bekam alles eine andere Dimension. Da sind Regierungsposten und später lukrative Aufsichtsratsmandate schon fast in Reichweite. Entsprechend wurden die Bandagen härter.

    Die Aufnahme kursierte im Netz schon lange. Kann sein, dass Christoph sie mal auf einer Social-Media-Plattform gepostet hatte. Sie zeigt Christoph im Kreise seiner Kameraden der Jugendgruppe, wie sie aus vollen Kehlen singen. Wie der Journalist draufkam, das Gesangsbüchlein der Jugendgruppe ausfindig zu machen, ist uns rätselhaft. Dass auf der letzten Seite das Lied von den zehn kleinen Negerlein gedruckt war, konnte er wohl kaum wissen. Auch wir erinnerten uns nicht daran. Wer kennt schon nach 30 Jahren alle Lieder eines Liederbüchleins auswendig. 

    Sei dem wie es wolle. Der Vorwurf, den er daraus konstruierte, war der eines Rassisten, der inbrünstig darüber singt, wie ein Negerlein nach dem anderen über die Klinge springen muss. Nur, um das ganze dann wieder von vorne beginnen zu lassen, nachdem das letzte Negerlein eine Negerfrau gefunden hat. 

    Christoph beteuerte, dass er natürlich keineswegs Rassist sei und sich auch nicht an dieses Lied erinnern könne. Es war vorauszusehen, dass dies nicht helfen würde. Man hatte Blut gerochen. In weiteren Artikeln wurde Christoph der Lüge bezichtigt, denn gleichzeitig erschienen Interviews mit einem ehemaligen Jugendgruppenmitglied, welches versicherte, dass «Zehn Kleine Negerlein» eines der populärsten Lieder war und dass dieses bestimmt auch zum Anlass, bei dem das Foto gemacht worden war, gesungen worden war. Dass dieses Mitglied um Jahre älter war als Christoph, interessierte niemanden.

    Mit Aussagen wie: «Es kann schon sein, dass ich dieses Lied mitgesungen habe, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.» oder «Damals war uns schlicht nicht bewusst, dass das Lied rassistisch interpretiert werden könnte» versuchte Christoph einen geordneten Teilrückzug, in der Hoffnung, die Kampagne würde an Dynamik verlieren und dann irgendwann ganz versanden. Das ging erwartungsgemäss nach hinten los. 

    Der Presse gelang es auf der Basis dieser Äusserungen das Bild eines politisch unsensiblen Technokraten zu zementieren. Um der Schmach einer Nichtwahl zu entgehen, verzichtet er auf die Kandidatur und hängte die Politik an den Nagel. Er wolle doch lieber einer anständige Tätigkeit nachgehen und wechselte zu einer Bank.

  • Rede zum 1. August

    < Um die folgende Rede einordnen zu können, muss man wissen, dass die Schweizer am 1. August ihren Nationalfeiertag feiern. Zu diesem Anlass finden in (fast) allen Gemeinden 1. August-Feiern statt, an denen jeweils eine mehr oder weniger bekannte Persönlichkeit (häufig ein*e Politiker*in) eine Rede hält. Darin wird dann meist auf die Erfolgsfaktoren, die die Schweiz zur Schweiz gemacht haben, eingegangen und daraus Appelle für zukünftiges Handeln abgeleitet. Handeln, das sicherstellen sollte, dass die Schweiz eine prosperierende Nation bleibt. >

    Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Liebe Andere,

    < Apelle gehen natürlich in ersten Line an stimmberechtigte Bürger*innen, aber je nach politischer Couleur will man auch gewisse «Liebe Andere» nicht aussen vor lassen, die zu den Feiern auch zugelassen sind. >

    Wir alle wissen, dass unsere Gesellschaft vor grossen Herausforderungen steht. Diese reichen von «A» wie Altersvorsorge, über «K» wie Klimapolitik, bis «Z» wie Zuwanderung. Diese Rede wird heute nicht enden, wenn ich das ganze Alphabet durchbuchstabieren würde, deshalb will ich mich auf «E» wie Europapolitik beschränken.

    < Man muss wissen, dass die Schweiz nicht Teil der Europäischen Union ist. >

    Seit Dekaden ringen wir in unserem Land um die richtige Europapolitik oder konkreter um die Gestaltung des Verhältnisses zur Europäischen Union. Es ist wohl nicht falsch zu behaupten, dass eine klare Haltung in dieser Sache, in einer mehr oder weniger grossen Skepsis von rechts bis (etwas weniger) links gegenüber unterschiedlichsten Aspekten des EU-Allgemeinverständnis liegt. 

    Ja, die Europäische Union mag einen Hang zum Zentralismus haben.

    Ja, die Europäische Union mag einen Hang zur Vereinheitlichung haben.

    Ja, die Europäische Union mag einen Hang zur Überregulierung haben.

    Ja, die Europäische Union mag einen Hang zum Schulmeistern haben.

    All das steht etwas im Clinch mit unserem Hang zu Freiheit, Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Föderalismus, was es bis heute schwer gemacht hat, uns Schweizer für dieses bürokratische Monster zu erwärmen.


    Aber schauen wir es von einer anderen Seite an. Unser Eigensein kosten uns viel Energie. Dauernd müssen wir international rechtfertigen, warum wir hier oder da nicht mitmachen oder es anders machen wollen. Wir müssen mühsam unsere eigenen Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt definieren. Und trotzdem sind wir immer wieder gezwungen, zähneknirschend absurde Regeln der EU mindestens teilweise zu übernehmen. Es ist ein bisschen wie in einem Ruderboot auf dem weiten Ozean, man kann sich anstrengen und rudern wie ein Irrer, um eine eigene Richtung zu verfolgen, aber ist trotzdem machtlos dem Wellengang ausgeliefert. 

    Warum also begeben wir uns nicht einfach in den Schoss der EU und lassen uns von den Wellen tragen? Am Anfang würden wir wohl noch zu den Nettozahlern in der Union gehören. Aber wenn wir uns geschickt anpassen, z.B. indem wir eine 30 Stundenwoche, grosszügige Elternzeiten und Kindergeld, sowie eine Vielzahl von neuen Subventionen einführen, werden wir nach wenigen Jahren auf die Seite der Nettobezüger wechseln und uns treiben lassen können. 

    Nur! Jahre werden wir gar nicht warten müssen, denn es bestehen auch kurzfristig Möglichkeiten, Kapital aus einem Beitritt zu schlagen. 

    Als erstes reduzieren wir die Ausgaben für unsere Armee. Im Herzen von Europa werden wir nicht wirklich eine Armee brauchen, dafür haben wir dann unserer Nachbarn. Wir werden also unsere Ausgaben auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Mit dem wenigen Geld, dass wir trotzdem gezwungen sein werden in Verteidigung zu investieren, werden wir zuerst einmal unsere Angehörige der Armee besser entlohnen. 

    Als nächste melken wir die Schweizerische Nationalbank. Wenn wir auch die Einführung des Euro anvisieren, brauchen wir diese in der heutigen Form nicht mehr. Die angehäuften Reserven könne wir also schon vorher grosszügig verteilen. 

    Dies sind nur zwei Beispiele, wie wir von der EU profitieren können. Drum rufe ich Euch auf: werft die alten Ängste über Bord! Wagen wir den Sprung! Wir werden uns im EU-Ocean treiben und es uns gut gehen lassen können, ohne wie Irre zu rudern!

    < Wer mit dem Schweizer Naturell etwas vertraut ist, wird erraten, dass diese Rede so kaum gehalten werden wird. >

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